So geht Mediterraneo: „Es war einmal im fernen Anatolien, noch vor langer Zeit, als die Kamele noch Nachrichten verkündeten und die Flöhe Haare frisierten, ein kleiner kahlköpfiger Junge namens Keloglan …“ Generationen von Großeltern erzählen Generationen von Kindern Geschichten, die so beginnen. In der Türkei, in Griechenland (da variiert der Name, je nach türkeifreundlicher Einstellung der Erzähler), in Süditalien. Im rosa Haus am Gürtel (vulgo Volksoper) wird sich am 4. Dezember kurz vor 11 Uhr vormittags die Komponistin und Pianistin Sinem Altan an den Flügel setzen und im Rahmen ihres Märchenkonzerts „Keloglan und die 40 Räuber“ mit genau den oben erwähnten Worten starten. Altan, in Ankara geboren, ist Musikalische Leiterin des Maxim Gorki Theaters in Berlin und hat mit Lotte de Beer mehrfach erfolgreich zusammengearbeitet: für die „Bohème“-Produktion (2013) in der Kammeroper und „Tango Türk“ in Berlin, das Altan gemeinsam mit Kerem Can auch komponiert hat.
Warum gerade Keloglan?
Meine Lieblingsgeschichten, die ich als Kind vorgelesen bekommen habe, handelten von Keloglan. Da habe ich mich immer wieder verloren und fand es großartig, mit welcher Kraft, Selbstbewusstsein, Fantasie und Lässigkeit man im Leben zum Ziel kommen kann. Nach dem Motto: Ich will es, und ich mache es. Das ist die ganze Geschichte auf einen Satz komprimiert. (Lacht.)
Das ist Schlagzeilen-Journalismus vom Feinsten. Satz. Titel. Danke. Sie ersparen mir Arbeit.
Gerne. Keloglan ist so eine Station in meinem Leben, zu der ich mich immer wieder hingezogen fühle. Gerade in unserem jetzigen Alltag merke ich, dass es uns an der Kraft, Selbstverständlichkeit und Klugheit dieser Figur fehlt, und daher ist es schön, wenn man auf diese alten Erzählungen zurückgreifen kann – vor allem diese Geschichte mit den 40 Räubern, die ja in verschiedensten Formen existiert und über viele andere hinausragt.
Klassische treffen auf anatolische Instrumente
Verzeihen Sie meine Unwissenheit: Aber was ist überhaupt ein Märchenkonzert?
Ein Konzept, das genau zwischen Konzert, Hörspiel und Theater liegt. Ein Format, das auf die ursprüngliche Form von Geschichtserzählung zurückgreift. Es gibt einen Sprecher, der mit seinem Büchlein das Märchen vorträgt. Die Musik bereitet atmosphärisch entweder das vor, was gleich erzählt wird, oder sie greift das Erzählte auf, verwandelt es in Musik und führt es fort. Der Sprecher geht, wie die alten Erzähler im Dorf, in die Rollen, und wir haben eine Sängerin, die zwischen dem klassischen und dem anatolischen Gesang jongliert. Es gibt ein paar Jazznoten, Blechbläser, anatolische Instrumente, und durch die Wucht der Besetzung geht es in eine gewisse Big-Band-Richtung. Ich habe das Stück 2010 geschrieben und einen Trend ausgelöst, weil es danach viele solcher transkultureller Projekte gab (lacht), bei denen anatolische Instrumente mit klassischen zusammengekommen sind.
Eine andere Frage: Wie geht Komponieren überhaupt? Ist das nicht ein sehr einsamer Job?
Normalerweise ja. In meinem Fall aber, weil ich ja eine vom Theater und vom Mitmusizieren angefixte Person bin, fällt es mir schwer, die Einsamkeit zu erwischen. Das bedeutet, meine Kompositionsphasen finden während einer doch sehr vollen Alltagsbegleitung statt. Ich muss mir Ruhepunkte bewusst setzen, und das ist meistens abends, und da lasse ich dann Dinge entstehen. Diese Mischform gibt meinem Komponieren eine andere Dynamik. Meine Musik lebt von meinem vielseitigen Leben.
Was wollen Sie bei Ihrem Publikum erreichen?
Ich möchte, dass die Menschen sagen: Das ist eine Musiksprache, die ist nicht dies und nicht das, aber sie gefällt mir, und deswegen ist es auch erlaubt, genau diese Form zu machen, ohne dass man sie kategorisieren muss. (Lacht.)